Neustart Energieversorgung

Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine hat nicht nur für eine tiefe sicherheitspolitische Zäsur in der Nachkriegsgeschichte gesorgt, sondern auch den Blick auf unsere Energieversorgung gerichtet. Sowohl bei Öl, Gas und Kohle ist Deutschland in hohem Maß von russischen Importen abhängig. Politisch und wirtschaftlich wird man sich auf eine weitreichende Isolierung Russlands einstellen müssen. Um unserer Verantwortung bei der Wahrung von Werten wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Unverletzlichkeit staatlicher Integrität gerecht zu werden, müssen wir unsere Energieversorgung schnell umstellen. Gleichzeitig besteht das Risiko, dass Russland die Öl-, Gas- und Kohlelieferungen als Reaktion auf die Sanktionen des Westens einstellt.  

Was nun aufgrund von sicherheitspolitischen Erwägungen zwingend wird, war zuvor schon aus klimapolitischer Sicht unausweichlich: Der schnellstmögliche Ausbau der Erneuerbaren Energien. Hierzu bedarf es einer Überarbeitung der Förderinstrumente und insbesondere einer Reform des Planungsrechts. 

Gleichzeitig kämpfen Unternehmen wie Privatpersonen mit deutlich steigenden Energiekosten. Dies kostet Unternehmen internationale Wettbewerbsfähigkeit und bringt einige sogar in Existenznot, während Privathaushalte derzeit Kaufkraftverluste hinnehmen müssen. Für Personen mit sehr niedrigem Einkommen wird Energie sogar unbezahlbar. Auch wenn der Staat mit Sicherheit nicht alle Verwerfungen auf dem Energiemarkt auffangen kann, müssen wir dafür Sorge tragen, dass Energie bezahlbar bleibt.

Energieversorgung in drei Schritten sicherstellen

Die Versorgungssicherheit hat oberste Priorität. An dieser Stelle darf es auch keine Denkverbote geben. Dies heißt, jede derzeit in Nutzung befindliche Form der Energieerzeugung muss so lange am Netz bleiben, wie diese zur Sicherung der Versorgungssicherheit benötigt wird. Dies beinhaltet explizit auch eine Verlängerung der Laufzeit von Kernkraft- und Kohlekraftwerken, sollte dies erforderlich sein.

In einem zweiten Schritt müssen die Energielieferungen aus dem Ausland schnellstmöglich, spätestens bis Herbst 2022 diversifiziert werden. Versorgungssicherheit ist hier entscheidender als der Preis, der volkswirtschaftliche Schaden durch Versorgungsengpässe dürfte hier größer ausfallen. Zudem müssen strategische Reserven für Öl, Gas und Kohle maximal aufgebaut werden, um eine sichere Versorgung über den Winter unter allen klimatischen Szenarien zu gewährleisten.

Der dritte Schritt ist die deutliche Steigerung der Unabhängigkeit von Lieferungen aus Drittstaaten, die Lösung hierfür kann nur der schnellstmögliche Ausbau der Erneuerbaren Energien lauten. Hierzu müssen Planungs- und Genehmigungsverfahren massiv beschleunigt werden sowie ggfs. die Sicherung der Wirtschaftlichkeit durch Anpassungen der Rahmenbedingungen gewährleistet werden.

Europäischen Binnenmarkt im Energiesektor vollenden

Nicht nur Deutschland ist in erheblichem Maß von Energielieferungen aus Russland abhängig, dies betrifft auch weitere europäische Staaten. Die neu gewonnen europäische Einigkeit muss genutzt werden, um den Markt für Strom und Gas zu harmonisieren. Eine gemeinsamer Energiemarkt macht die EU-Staaten resilienter gegenüber Schwankungen im Stromnetz durch unterschiedliche klimatische Bedingungen bei den Erneuerbaren Energien und von Lieferungen aus Drittländern mit fossilen Energieträgern. Kurzfristig kann so die Abkehr von russischen Energielieferungen abgefedert werden, langfristig fördert dies den Ausbau von Erneuerbaren Energien an den Standorten, die dafür wirtschaftlich am geeignetsten sind. Für Deutschland gilt damit aber auch, Strom aus Energieträgern zu akzeptieren, die in Deutschland nicht mehr zum Energiemix gehören.

Erneuerbare Energien ausbauen

Der Ausbau der Erneuerbaren Energien kommt derzeit nicht in dem Ausmaß voran, wie es für die Erreichung der Ziele (80% Strom aus erneuerbaren Energien bis 2030) notwendig ist. Wichtig ist daher die Ausweisung neuer Flächen. Dies betrifft sowohl Windkraft, als auch Photovoltaik. Dabei darf es keine Denkverbote geben, so sollte bspw. auch die Überdachung von Autobahnen mit Photovoltaik-Anlagen geprüft werden. Der Natur- und Artenschutz muss in einen vernünftigen Ausgleich mit dem Klimaschutz gebracht werden. Dies muss in Summe dazu führen, dass Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. Weitere Voraussetzung hierfür ist die Digitalisierung der Verfahren inklusive digitaler Anhörungen. Auch muss die digitale Vernetzung der Behörden untereinander sowie eine hinreichende Sach- und Personalausstattung sichergestellt sein. 

Die Zukunft vieler bestehender Erneuerbarer-Anlagen ist mangels etablierter, marktbasierter Geschäftsmodelle auf die lange Frist noch ungewiss. Zudem erschweren planungs- und genehmigungsrechtliche Hürden den Weiterbetrieb von Anlagen. Das Repowering auf bestehenden Standorten sowie der Betrieb und die effiziente Weiternutzung von Bestandsanlagen nach Auslaufen der post-EEG-Übergangsförderung müssen langfristig wirtschaftlich möglich sein. Marktbasierte Geschäftsmodelle für die Zeit nach der Übergangsförderung müssen daher unterstützt werden. Gleichzeitig müssen Hürden für selbsterzeugten Strom weiter abgebaut werden. Weitere Verbesserungen bei Planung und Genehmigung von Repowering-Vorhaben müssen konsequent umgesetzt werden.

Immer mehr erneuerbarer Strom kann mangels geeigneter Stromnetze, Speicher und Flexibilitäten nicht mehr genutzt werden. 2019 mussten laut BNetzA 6,5 GWh abgeregelt werden, 19 % mehr als 2018. Der weiterer Erneuerbaren-Ausbau muss daher mit zunehmend flexibilisierter Stromerzeugung/-nachfrage, Netzausbau, sowie mehr Speicher- und Umwandlungstechnologien (Beispiel: Wasserstoff!) einhergehen. Auch sollten private Speichermöglichkeiten gefördert werden, sowohl in Unternehmen als auch in Privathaushalten, um die Eigenversorgung zu stärken, in dem die Umlagen reduziert werden. Pilotprojekte zur Schaffung von regionalen Speicherprojekten von Unternehmen und Privathaushalten bspw. durch bidirektionales Laden sollten gefördert werden. Darüber hinaus muss die Forschung zu Speichermöglichkeiten ausgebaut werden. Netzbetreibern sollte der Betrieb‎ von ‎Speichern ‎(„Netzboostern“)‎ ermöglicht werden. Darüber hinaus müssen die Chancen der Digitalisierung wesentlich stärker genutzt werden, um Spitzen besser vorherzusehen und abfedern zu können.

Viele Unternehmen haben bereits Verträge zur Direktlieferung von Strom aus Erneuerbaren Energien geschlossen. Grüne Stromabnahmeverträge beschleunigen nicht nur den Ausbau erneuerbarer Energien, sondern sichern den Abnehmern auch einen stabilen Strompreis. Sie sollten befördert und nicht behindert werden. Um Direktlieferungen mit grünem Strom zu stärken, sollten z. B. künftig auch geförderte Anlagen grüne Herkunftsnachweise vermarkten können und Eigenversorgungsanlagen Herkunftsnachweise erhalten.

Wasserstoff ist Energieträger der Zukunft

In vielen Bereichen wird eine unmittelbare Stromversorgung nicht möglich sein, Wasserstoff wird daher zu einem zentralen Energieträger der Zukunft. Daher muss der Ausbau einer europäischen Wasserstoff-Industrie forciert werden. Pilotanlagen und das Hochfahren im industriellen Maßstab müssen zu Beginn gefördert werden, um die Abhängigkeit von Dritten zu reduzieren und einen neuen Wertschöpfungszweig in Europa aufzubauen. Zudem müssen Infrastruktur- und Zertifizierungsfragen zeitnah geklärt werden, um klare Marktregeln zu definieren. Für den Übergang ist es zudem unerlässlich, so schnell wie möglich die Förderbedingungen zu klären und den Unternehmen Planungssicherheit für die notwendigen Investitionen in die Zukunft zu geben.

Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als Kriterien für zukünftige Energiepartner

Viele fossile Rohstoffe werden in Ländern gefördert, die weder demokratische Strukturen noch einen ausgebauten Rechtsstaat haben. Bei der Diversifizierung der Energielieferanten werden diese Staaten daher in naher Zukunft auch weiter Partner sein müssen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Aber auch mittelfristig wird die Energieversorgung Deutschlands trotz des massiven Ausbaus der Erneuerbaren Energien nicht autark werden. Insbesondere bei Wasserstoff wird die Bundesrepublik auf Lieferungen aus dem Ausland angewiesen sein. Daher ist es zum einen sinnvoll, heute LNG-Terminals zu errichten, die später auch für Wasserstofflieferungen genutzt werden können. Zum anderen sollte bei der Wahl zukünftiger Partner die Verlässlichkeit über dem Preis stehen. Deutschland darf nicht mehr in eine Situation geraten, in der die Versorgungssicherheit als Erpressungspotenzial genutzt wird. Wichtigste Kriterien zur Wahl der zukünftigen Energiepartnerschaften sind daher Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Bezahlbarkeit

Ein wichtiger Schritt zur Entlastung der Unternehmen und Bürger war die Abschaffung der EEG-Umlage bereits zum 1. Juli 2022. Damit diese ihre volle Wirkung erzielt muss sichergestellt werden, dass diese auch an die Verbraucher weitergegeben wird.

Strom muss bezahlbar bleiben – das gilt für Unternehmen genauso wie für Privathaushalte. Um beide Zielgruppen gleichsam zu entlasten sollte daher die Stromsteuer von derzeit 2,05 auf das europäische Mindestmaß von 0,05 Cent je kWh abgesenkt werden. Für Betriebe, die den Spitzenausgleich in Anspruch nehmen, wäre es zwar eine deutlich kleinere finanzielle, aber eine große Entlastung von Bürokratie. Gleichzeitig würden die Unsicherheiten einer Verlängerung des Spitzenausgleichs über 2022 hinaus direkt beseitigt, da dieser nicht mehr notwendig wäre.

Bereits 2020 haben sich die Wirtschaftsjunioren Bayern dafür ausgesprochen, die Reduktion des CO2-Ausstoßes hauptsächlich über Marktinstrumente zu regeln. Auch vor dem Hintergrund steigender Energiepreise soll an diesem Instrument festgehalten werden, damit es seine Lenkungswirkung behält. Marktinstrumente sind hier klar festen Zielvorgaben zum CO2-Ausstoß vorzuziehen. Gleichzeitig darf eine längere Nutzung von fossilen Energieträgern zur Sicherung der Versorgungssicherheit nicht dazu führen, dass die Belastung durch den CO2-Preis für die Unternehmen weiter steigt. Hier muss dann ggfs. gegengesteuert werden.

Die deutsche CO2-Bepreisung belastet aber die heimische Industrie, die nicht dem europäischen Emissionshandel unterliegt im innereuropäischen Wettbewerb. Die bisherigen Schutzregeln sind weder von der Entlastungshöhe noch von der Anzahl antragsberechtigter Unternehmen ausreichend, um Carbon Leakage zu verhindern und sollten daher ausgeweitet werden. Gleichzeitig werden mit dem europäischen Emissionshandel europäische Unternehmen im Internationalen Wettbewerb benachteiligt. Um diesen zumindest bei Importen in die EU auszugleichen, plant die EU einen CO2-Grenzausgleich, der von Drittstaaten aber als Zoll gewertet werden könnte und mit Gegenmaßnahmen belegt. Die Wirtschaftsjunioren Bayern sprechen sich vor diesem Hintergrund gegen einen CO2-Grenzausgleich aus.

Cyber-Security

Die Energieversorgung gehört zur kritischen Infrastruktur unseres Landes. Damit ist sie auch eines der ersten Angriffsziele. Insbesondere mit Cyber-Angriffen kann mit geringem Aufwand großer Schaden angerichtet werden. Vor dem Hintergrund zunehmender Hacker-Attacken ist daher ein besonderer Schutz unserer Energieversorgung unerlässlich. Cybersicherheit muss ein strategisches Ziel sein und die enge Verzahnung zwischen Unternehmen und Sicherheitsbehörden ist unerlässlich. Zusätzlich sollte das BSI zur Abwehr von Cyberangriffen personell aufgestockt werden, um hier absolute Spezialisten rekrutieren zu können, sollte die Zulage für IT-Spezialisten so erhöht werden, dass diese wettbewerbsfähig mit dem Markt sind.

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